Vergaberecht in Krisenzeiten – Corona führt zu neuen Beschaffungsregeln

Aufgrund der derzeitigen Pandemie-Lage durch das Coronavirus COVID-19/SARS-CoV-2 besteht in bestimmten Bereichen ein extrem kurzfristiger Beschaffungsbedarf öffentlicher Auftraggeber zur Sicherstellung wesentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge. Diesen plötzlich auftretenden und äußerst dringenden Bedarf werden die vergaberechtlich vorgegebenen Beschaffungsprozesse und insbesondere die Fristenregelungen nicht gerecht. Dies haben Bund und Länder erkannt und den öffentlichen Auftraggebern für einen befristeten Zeitraum bis 30.06.2020 erheblich vereinfachte Vergabevorschriften an die Hand gegeben.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat in einem Rundschreiben vom 19.03.2020 zu dringlichen Vergabeverfahren in Folge der Corona-Pandemie festgestellt, dass in der aktuellen Situation im Ober- wie im Unterschwellenbereich die Voraussetzungen für dringliche Vergaben (vgl. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV bzw. § 13 Abs. 2 Nr. 4 SektVO und § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO) für den Einkauf solcher Leistungen gegeben sind, die der Eindämmung und kurzfristigen Bewältigung der Corona-Epidemie und/oder der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs der öffentlichen Verwaltung dienen.

In dem Rundschreiben wird für bestimmte Gegenstände die Beschaffung im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Auftragsbekanntmachung freigegeben, so z.B. für Heil- und Hilfsmittel wie etwa Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Masken, Schutzkittel, Verbandsmaterialien, Tupfer, Bauchtücher und medizinisches Gerät wie etwa Beatmungsgeräte sowie für in diesen Krisenzeiten zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs der öffentlichen Verwaltung notwendige Leistungen (etwa mobiles IT-Gerät z.B. zur Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen, Videokonferenztechnik und IT-Leitungskapazitäten). Die Liste ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Rundschreibens nicht abschließend. In diesem Zusammenhang ist es nach den Umständen des Einzelfalls gegebenenfalls gestattet nur ein einziges Unternehmen zur Abgabe eines Angebots aufzufordern - üblicherweise ist die Ansprache von mindestens 3 Unternehmen nach § 51 Abs. 2 VgV vorgeschrieben. Zudem sollen öffentliche Auftraggeber prüfen, ob sie ihre kurzfristigen Beschaffungsbedarfe nicht im Wege einer Vertragsverlängerung und/oder-Ausweitung nach § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GWB decken können.

Für den Unterschwellenbereich hat Rheinland-Pfalz für alle Liefer-, Dienst- und Bauleistungen, die unmittelbar oder mittelbar zur Eindämmung der Corona-Pandemie beitragen, unter Berücksichtigung der Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit die Beschaffung im Wege des Direktkaufs ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens ohne Bindung an eine bestimmte Wertgrenze freigegeben. Davon sind nach dem Wortlaut des Rundschreibens dieselben Arten von Beschaffungen erfasst, wie oberhalb der Schwellenwerte aufgrund des Rundschreibens des Bundesministeriums. Das Rundschreiben des Landes gilt ausdrücklich auch für Zuwendungsempfänger, die die VOB/A und VOL/A nach den zuwendungsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden haben.

Das Rundschreiben des Bundes können Sie hier herunterladen.

Das Rundschreiben des Landes Rheinland-Pfalz können Sie hier herunterladen.

Öffentliche Auftraggeber haben nach unserer Einschätzung nun schlagkräftige Werkzeuge für eine kurzfristige Beschaffung der zur Bewältigung der Corona-Situation erforderlichen Güter an der Hand. Gerade in Zweifelsfällen ist es aber zu empfehlen, den konkreten Bezug des Beschaffungsgegenstands zu der Pandemielage hinreichend zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere für Zuwendungsempfänger, die sich sonst im Falle einer späteren Überprüfung einer Fördermittelrückforderung ausgesetzt sehen können.

Martin Schumm, Fachanwalt für Vergaberecht, Arno Gerlach, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Valenin Klumb B. A., Rechtsanwalt und Bachelor of Arts in Public Management & Governance