Nach tragischem Tod ihrer Tochter: Kein Zugriff der Eltern auf facebook-Account  

Das Kammergericht (Oberlandesgericht des Bundeslandes Berlin) hat gestern in einer vielbeachteten Grundsatzentscheidung (Az. 21 U 9/16) den Eltern den Zugriff auf den facebook-Account ihrer verstorbenen Tochter versagt. Das damals 15-jährige Mädchen war im Dezember 2015 im Berliner U-Bahnhof Schönleistraße von einer einfahrenden U-Bahn erfasst worden und wenig später im Krankenhaus verstorben. Die genauen Umstände dieses tragischen Todes sind bis heute nicht vollständig geklärt. Die Eltern wollen mit Hilfe des facebook-Accounts ihrer Tochter herausfinden, ob ihre Tochter Suizid begangen haben könnte. Es steht im Raum, dass ihre Tochter gemobbt worden sein könnte. Die Eltern verfügen zwar über die Zugangsdaten zum facebook-Account ihrer Tochter, können aber die über den Account gelaufenen Nachrichten nicht einsehen. Facebook hat den Account in den so genannten Gedenkzustand versetzt, nachdem das Unternehmen von einem mit der Verstorbenen befreundeten facebook-Nutzer Kenntnis von deren Tod erhalten hatte.

Das Urteil des Kammergerichts ist über den entschiedenen Fall hinaus von allgemeinem Interesse, weil es eine der ersten Grundsatzentscheidungen zum so genannten digitalen Nachlass darstellt. Im Kern geht es um die Frage, ob ein facebook-Account samt den darin vorhandenen Inhalten überhaupt vererbbar ist. Das ist deswegen fraglich, weil facebook-Nachrichten intime Inhalte haben können und daher im Rechtssinne „höchstpersönlich“ sein können. Höchstpersönliche Rechte, wie zum Beispiel die Mitgliedschaft in einem Verein, können aber regelmäßig nicht vererbt werden. Es entstehen äußerst schwierige Abgrenzungsfragen. Was ist noch höchstpersönlich? Führt eine höchstpersönliche Nachricht dazu, dass der gesamte Account dem Nachlass entzogen ist? Nach der jüngsten veröffentlichten Erhebung des Statistischen Bundesamtes sind in 2015 in der Bundesrepublik Deutschland 925.239 Menschen gestorben. Wer prüft und entscheidet über all diese Accounts?

Nach der Urteilsbegründung ist mit Händen zu greifen, dass das Kammergericht den Eltern helfen wollte. Es hat sich daran aber rechtlich gehindert gesehen, weil das derzeit geltende Telekommunikationsrecht (§ 88 Abs. 3 TKG) die Weitergabe des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation nur dann gestattet, wenn das durch ein Gesetz ausdrücklich zugelassen wird. Eine solche ausdrückliche gesetzliche Vorschrift zum digitalen Nachlass gibt es aber noch nicht.

Das Urteil des Kammergerichts ist noch nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat es die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Es spricht aber einiges dafür, dass der Rechtstreit selbst dort noch nicht abschließend entschieden wird, sondern bis vor das Bundesverfassungsgericht getragen wird. Das Erbrecht ist ein von unserer Verfassung gewährtes Grundrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG). Dasselbe gilt aber auch für das so genannte Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), dessen Anwendungsbereich sich nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch auf E-Mails erstreckt. Es bleibt außerdem mit Spannung abzuwarten, ob es der Gesetzgeber dauerhaft hinnehmen will, dass Briefe und Tagebücher jeden Inhalts ohne weiteres in den Nachlass fallen, während nicht verkörperte Telekommunikationsinhalte den Erben jedenfalls nach Auffassung des Kammergerichts nicht zugänglich gemacht werden dürfen.

Sascha Unger, Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)