Bürokratie

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nochmals bis zum 30.04.2021 verlängert – auf die Voraussetzungen kommt es an!

I. Einleitung

Am 12.2.2021 hat der Bundesrat einer weiteren Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.4.2021 zugestimmt. Das entsprechende Gesetz hatte zuvor am 28.01.2021 den Bundestag passiert. Die neuen Regelungen sollen rückwirkend zum 1. Februar 2021 gelten und sich damit nahtlos an das bestehende Gesetz anschließen.

Entgegen der mitunter verkürzten Medienberichterstattung ist die Insolvenzantragspflicht für haftungsbeschränkte Gesellschaften (also insbesondere für GmbH, AG und GmbH & Co. KG) allerdings nicht generell ausgesetzt, sondern nur unter den nachfolgend genannten besonderen Voraussetzungen, die längst nicht jede insolvenzreife Gesellschaft erfüllt.

II. Voraussetzungen für eine weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Zeitraum 1.1. bis 30.4.2021

Im Zeitraum vom 1.1.2021 bis 30.4.2021 ist die Insolvenzantragspflicht nur dann ausgesetzt, wenn sämtliche der nachfolgend genannten Voraussetzungen vorliegen:

1. Insolvenzreife pandemiebedingt

Die Insolvenzreife, also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der betroffenen Gesellschaft, muss pandemiebedingt sein, also verursacht durch die COVID-19-Pandemie. Bestand die Insolvenzreife bereits vor Beginn der COVID-19-Pandemie oder wäre die Insolvenzreife auch unabhängig von der COVID-19-Pandemie eingetreten, scheidet eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht aus. Es handelt sich bei der vorgenannten Voraussetzung um einen Ausnahmetatbestand, so dass die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes bei der Partei (in der Regel Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Gläubiger) liegt, die sich auf dessen Vorliegen beruft. Gleichwohl empfiehlt es sich für die Geschäftsleiter zur eigenen Absicherung zu dokumentieren, dass die Insolvenzreife pandemiebedingt ist. Dies kann dadurch geschehen, dass die (belastbare) Unternehmensplanung 2020 ohne COVID-19-Pandemie der Unternehmensentwicklung im Rahmen der COVID-19 Pandemie gegenübergestellt wird. Zudem ist den betreffenden Geschäftsleitern zu empfehlen, die Zahlungsfähigkeit der betroffenen Gesellschaft zum 31.12.2019 zu dokumentieren. In diesem Fall wird nämlich zugunsten der Gesellschaft und ihrer Geschäftsleiter vermutet, dass die Insolvenzreife pandemiebedingt ist,

2. Inanspruchnahme staatlicher Hilfsprogramme

Die Geschäftsleiter der betroffenen Gesellschaften (a) haben im Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 28. Februar 2021 einen Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie gestellt oder (b) waren an der Antragstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen innerhalb des vorgenannten Zeitraums gehindert und fallen nach den Bedingungen des staatlichen Hilfsprogramms in den Kreis der Antragsberechtigten. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen sind die Vertretungsorgane der betreffenden Gesellschaften uneingeschränkt darlegungs- und beweispflichtig. Mit der zweiten Alternative (Hinderung an der Antragstellung) sollen nach der Gesetzesbegründung insbesondere solche Fälle erfasst werden, in denen beihilferechtliche oder IT-technische Hinderungsgründe bestehen oder in denen die Hilfen vor dem 28.2.2021 für weniger als 14 Tage tatsächlich beantragbar waren. Auch wenn die Gesetzesbegründung ausdrücklich nur auf die Beantragung von November- und Dezemberhilfen verweist, ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht auf die Beantragung von November- und Dezemberhilfen beschränkt, sondern erfasst – dem weitergefassten Gesetzeswortlaut entsprechend – jede Form staatlicher Hilfsprogramme, also auch Überbrückungshilfe II, Novemberhilfe Plus, Dezemberhilfe Plus und Überbrückungshilfe III.

3. Erlangung der Hilfeleistung nicht offensichtlich aussichtslos

Die Erlangung der Hilfeleistung ist nicht offensichtlich aussichtlos. Es handelt sich bei der vorgenannten Voraussetzung um einen Ausnahmetatbestand, so dass die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes bei der Partei (in der Regel Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Gläubiger) liegt, die sich auf dessen Vorliegen beruft. Der Ausnahmetatbestand dürfte bereits dann nicht mehr eingreifen, wenn nur irgendeine, wenn auch mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit versehene Möglichkeit besteht, die Hilfeleistung zu erlangen. Insoweit bleibt allerdings die Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten. Für das betreffende Vertretungsorgan empfiehlt es sich daher zu dokumentieren, dass und aufgrund welcher konkreten Umstände es davon ausgehen konnte, die Hilfeleistung erlangen zu können.

4. Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife ausreichend

Die erlangbare Hilfeleistung darf für die Beseitigung der Insolvenzreife nicht unzureichend sein. Auch bei dieser Voraussetzung handelt es sich um einen Ausnahmetatbestand, so dass die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes auch insoweit bei der Partei (in der Regel Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Gläubiger) liegt, die sich auf dessen Vorliegen beruft. Unzureichend für die Beseitigung der Insolvenzreife ist die Hilfeleistung dann, wenn die betreffende Gesellschaft selbst unter hypothetischer Einbeziehung der beantragten Hilfeleistung in ihre integrierte Unternehmensplanung – und zwar in dem Umfang, in dem die Gewährung nicht offensichtlich aussichtslos ist – zahlungsunfähig oder überschuldet bleibt.

III. Folgen bei fortbestehender Insolvenzantragspflicht  

Ist auch nur eine der vorgenannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht erfüllt, kann dies für die betroffenen Geschäftsleiter weitreichende Folgen haben.

1. Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung

Wir ein Insolvenzantrag nicht fristgerecht gestellt (bei Zahlungsunfähigkeit beträgt die Insolvenzantragsfrist längstens drei Wochen, liegt „nur“ Überschuldung vor, beträgt die Insolvenzantragsfrist seit dem 1.1.2021 längstens sechs Wochen), dann machen sich die betreffenden Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung strafbar. Insolvenzverschleppung ist kein Kavaliersdelikt, sondern kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden.

2. Haftung für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife

Zudem sind die Geschäftsleiter verpflichtet, an die Gesellschaft, im Insolvenzfall also an den Insolvenzverwalter, sämtliche Vermögensschmälerungen zu erstatten, die sie ab Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung noch veranlasst beziehungsweise zugelassen haben. Neben klassischen Zahlungen von Gesellschaftskonten können hierunter beispielsweise auch Zahlungseinzüge auf im Soll befindliche Konten der Gesellschaft oder die Erbringung von Warenlieferungen oder Dienstleistungen, wenn der Kunde die Gegenleistung bereits erbracht hatte, fallen. Hier können sich in kürzester Zeit erhebliche Haftungssummen ergeben, den Geschäftsleiter schnell die eigene wirtschaftliche Existenz kosten können.

3. Haftung gegenüber Gläubigern

Darüber hinaus können Geschäftsleiter auch den Gläubigern gegenüber zum Ersatz von Schäden verpflichtet sein, die durch die verspätete Insolvenzantragstellung verursacht werden.

IV. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch bei Gesellschaften, die vor dem 1.1.2021 Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit hätten stellen müssen?

In der Zeit vom 1.10.2020 bis 31.12.2020 war die Insolvenzantragspflicht nur für pandemiebedingt überschuldete, nicht aber für pandemiebedingt zahlungsunfähige Gesellschaften ausgesetzt. Pandemiebedingt zahlungsunfähige Gesellschaften waren im Zeitraum 1.10.2020 bis 31.12.2020 insolvenzantragspflichtig. Vom Grundsatz her dürfte daher die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für zahlungsfähige Gesellschaften im Zeitraum vom 1.1.2021 bis 30.4.2021 (unter den oben unter II. genannten Voraussetzungen) nur solche Gesellschaften erfassen, die am 1.1.2021 noch keinen Insolvenzantrag hätten gestellt haben müssen, nicht aber solche Gesellschaften, die sich am 1.1.2021 bereits im Stadium der Insolvenzverschleppung befanden. Denkbar wäre allenfalls, auch solche zahlungsunfähigen Gesellschaften in die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht einzubeziehen, die infolge der verspäteten Auszahlung von Hilfsmitteln zahlungsunfähig wurden. Gesichert erscheint dies derzeit aber keinesfalls.

Dr. Arne Löser, Fachanwalt für Handels-und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Zertifizierter Restrukturierungs-und Sanierungsexperte (RWS)